Die systemische Therapie als psychotherapeutisches Verfahren basiert auf einer konstruktivistischen Weltsicht, menschliche Probleme werden kontextbezogen betrachtet und in der radikalen Ausprägung alles als konstruiert angenommen. Nichts ist also wirklich da, sondern mehr in unserem Gehirn. Das bedeutet für das Individuum, dass auf Basis der jeweiligen Erfahrung, die Welt und Wirklichkeit vollkommen „erfunden“ bzw. interpretiert sind. Die systemische Therapie versucht die eingefahrene Gedankenwelt der Person zu dekonstruieren/zerstören, um neue Perspektiven zu ermöglichen und dadurch Veränderung denkbar zu machen. Gleichzeitig gibt es keine Wahrheit, was im Gegensatz zu anderen psychotherapeutischen Verfahren, mehr Spielraum lässt.
Meine Leidenschaft für den konstruktivistischen Ansatz begann in meiner ersten Ausbildung als Erzieherin. Mir begegneten Dozent*innen die konstruktivistisch dachten, sowie Praktiker*innen die das systemische Denken in pädagogisches Handeln umsetzten. Der Konstruktivismus als Wort erschien mir im Fach Didaktik/Methodik das erste mal in Form von Klafkis kritisch-konstruktiver Didaktik, die wie ich finde heute mehr den je Relevanz hat, da sie eine demokratische Form des Lehrens und Lernen postuliert. Zu diesem Zeitpunkt waren das für mich erstmal nur theoretische Konzepte, ohne das ich gewusst hätte, wie ich das pädagogisch umsetzen soll.
Nach der Ausbildung entschied ich mich für ein Studium der Erziehungswissenschaft und Soziologie. Die Soziologie hatte es mir ebenso seit der Ausbildung angetan, ein etwas verstrahlter Dozent, mit unglaublichem Wissen der Heidelberger und Frankfurter Schule. Soziologie als Wissenschaft der Interaktion von Menschen, aber auch der gesellschaftlichen Zusammenhänge faszinierte mich und so war diese Erfahrung Ausgangspunkt für die Wahl des zweiten Studienfaches. Ich wollte wissen wie das alles funktioniert und organisiert.
In den ersten Semestern Soziologie verstand ich nur Bahnhof, im wahrsten Wortsinn fühlte es sich an als würden meine Synapsen verknoten. Das Gefühl erstmal nur Chaos im Gehirn zu haben, was sich nach mehr Wissen lichtet und zu einem Gesamtbild wird, mag ich bis heute sehr. Auf dieser Basis entschied ich mich in Soziologie für besondere Schwerpunkt wie Familien-, Bildungs-, Mediensoziologie und gender studies. In Mediensoziologie begnete mir dann auch Niklas Luhmann, den ich bis heute nicht wirkliche verstehe, aber da befinde ich mich in guter Gesellschaft.
Gender studies ist ein Wissenschaftszweig der nicht ganz mit Geschlechterforschung zu übersetzen ist, da er den Fokus auf die Konstruktion von Geschlecht innerhalb der Gesellschaft legt, auch hier war der Professor speziell, Herr Prof. Dr. Stefan Hirschauer. In jeder Vorlesung verknotete sich mein Gehirn, und seine Art mit Witz und hoher Informationsdichte zu dozieren ließen mich nicht los. Sein erdachtes Konzept des „doing gender“ faszinierte mich, das hieße also Geschlecht ist nicht biologisch gegeben, sondern wird durch Verhaltens-, Denkweisungen und Normen/Werte gesellschaftlich erzeugt.
Die Erkenntnisse aus diesem Studienschwerpunkt beeinflussen mich bis heute, weil sie radikal konstruktivistisch sind. Wie es gibt gar kein binäres Geschlecht? Wie andere Kulturen haben mehr als zwei Geschlechter und das ganze ist eine eurozentristische (europäische) Sichtweise, die auf Descartes und das Christentum zurück geht? Was man kann die biologischen Argumente widerlegen und alles ist ganz anders?
Die damaligen Erkenntnisse hier zusammenzufassen würde nicht sonderlich leserlich werden. Aber mein Interesse war geweckt, durch eine queere Lebensweise war ich sowieso schon feministisch angehaucht und dann gab es wissenschaftliche Aspekte die die Heteronormativität infrage stellten?
Long story short- am Ende widmete ich meine Bachelorarbeit etwas mehr der Soziologie als der Erziehungswissenschaft und wählte den Forschungsgegenstand:
„Homophobe Diskriminierung- Heteronormativität und Diskriminierungserfahrungen bei einem konfessionellen freien Träger der Jugend- und Wohlfahrtspflege“. Ich liebe den Titel bis heute. Neben einem qualitativen Design/wissenschaftlichen Untersuchungen, beschäftigte ich mich mit dem Konstrukt das Geschlecht binär sei, Sexualität zwischen Mann & Frau die Norm, und welche unterschiedlichen Diskriminierungsformen unterschieden werden können. Ein bisschen nahm ich auch das Arbeitsrechtauseinander- der dritte Weg.
Also las ich Luhmann, Beauvoir, Butler, Beck, Mead, Max Weber und sogar Marx. Heraus kam eine spannende Arbeit und die begleitende Professorin Prof. Dr. Eva Borst legte mir nahe doch noch einen Master zu machen. Ich hingegen wollte weiterhin mit Menschen arbeiten und in die therapeutische Richtung, heute bereue ich das etwas. Nicht Therapeutin zu sein, sondern keinen Master of Arts gemacht zu haben, aber vielleicht kommt das noch.
Die Leidenschaft für den Konstruktivismus ist bis heute geblieben, mündete in mehreren therapeutische Ausrichtungen und heute bin ich ohne Psychologie Studium Therapeutin geworden. Psychologie wollte ich eigentlich studieren, aber der N.C. machte mir einen Strich durch die Rechnung.
All diese Umwegen als Praktikerin haben aber mein umfangreiches Wissen geprägt, mich in unterschiedliche pädagogische, beraterische und therapeutische Kontexte geführt und heute würde ich es nicht mehr anders machen, weil manchmal praktische Erfahrung hilfreicher ist als theoretisches Wissen.
Die Krönung dieser Leidenschaft ist jetzt meine eigene Online-Praxis.